Darf man für andere die besten Plätze freihalten?

Darf man für andere die besten Plätze freihalten?

Wer von euch hat schon mal jemandem einen Platz freigehalten? Ich. Schon öfter. Es ist eine ganz einfache Möglichkeit, an gute Plätze zu kommen: Man schickt eine Person vor, die für alle anderen frei hält. Es ist auch eine schöne Möglichkeit, jemandem etwas zu schenken, nämlich einen guten Platz. Oder es dient ganz einfach dem Gruppenzusammenhalt. Alle wollen beieinander sitzen, aber es kommen nicht alle gleichzeitig an.Irgendwie ist daran nichts Ungewöhnliches oder Verwerfliches. Und doch stehe ich der Sache selbst zwiespältig gegenüber. Am Wochenende hatte ich wieder ein Erlebnis, das mich einschreiten ließ. Ich war zusammen mit zwei Kindern auf dem städtischen Theaterfest. Über den Tag hinweg gab es ein abwechslungsreiches Programm in den einzelnen Theatersälen. Die Veranstaltungen waren kostenlos und für jeden offen.Wir guckten uns ein vertontes Kinderstück aus und gingen zum angegebenen Saal. Dort waren noch alle Türen verschlossen. Zwei Theatermitarbeiterinnen versicherten uns, dass sie bald öffnen würden. Sie empfahlen uns den Eingang unten links mit den Worten „Da ist weniger los!“, und wir stellten uns vor die Tür.Die Schlange vor dem Haupteingang wuchs an. Wir standen vor unserer Tür noch alleine, als eine ältere Frau mit einem Kind dazu stieß. Die Tür wurde nach 10 Minuten geöffnet – und siehe da: Wir konnten praktisch direkt in die erste Reihe laufen, wo meine Kinder sich einen Platz in der Mitte aussuchten. Ich entschied mich für die zweite Reihe, damit vorne mehr Platz für die Kleinen war. Die Kinder wollten sich gerade setzen, als die ältere Frau die Arme ausfuhr und sagte: „Die hier sind alle reserviert!“ Damit schubste sie meine Mädchen in Richtung Rand. Die Kinder wussten gar nicht, wie ihnen geschah und blickten irritiert zu der Dame. „Ich brauche hier noch zwei Plätze“, informierte sie, nicht ohne die Arme wieder seitlich auszufahren. Das war der Moment, in dem ich mich von hinten einschaltete. Das Ergebnis: Die Dame setzte sich mit ihrem Enkel neben mich in die zweite Reihe und gab „ihre Plätze“ an eine junge Frau mit Kind ab, die später kam und offensichtlich zu ihr gehörte.Wenn ich richtig darüber nachdenke, gab es immer mal wieder Situationen, in denen ich das Blockieren von Plätzen eher kritisch beäugte. Und das, obwohl ich selbst eine Freihalterin bin. Ich glaube, es ist okay für mich, wenn das Freihalten angemessen ist. Natürlich bestimme ich selbst, was ich für angemessen halte … Kindern in der ersten Reihe den Platz wegzunehmen für mehrere Personen, die noch nicht da sind – das erscheint mir unangemessen. Zumal wir als erste vor der Einganstüre gewartet hatten.Ich bin sicher, die ältere Dame handelte in ihren Augen ebenfalls angemessen. Vielleicht hat sie zu ihrer Begleitung gesagt: „Wir stellen uns dort drüben an. Und wenn wir früher da sind als ihr, halten wir gute Plätze frei!“ oder es war gar andersherum und die jüngere Frau sagte zu ihr: „Geh’ du doch da drüben rein mit dem Max! Wenn ihr schneller seid, haltet ihr uns einen guten Platz frei!“ Jedenfalls murmelte sie mir etwas zu wie „Ich habe mir schon gedacht, dass es so kommt.“Ehrlich gesagt habe ich keine befriedigende Antwort auf die Gewissensfrage: „Darf man für andere die besten Plätze im Theater freihalten?“

Mehr zum Thema Kommunikation verbessern