Und wie Sie sie vermeiden
Wir lernen Deutsch, Englisch, Mathematik. Es gibt Fahrschulen und Kurse für Computertechnik. Bei den wesentlichen sozialen Qualifikationen aber – (Ehe-)Partner und Eltern sein – vertraut man auf unsere Naturbegabung. Hier wenigstens ein kleiner Elternkursus in Sachen Kindererziehung.
1. Vermeiden Sie Perfektionismus
Der Vollkommenheitswahn der Eltern macht Kinder zu Sündenböcken.
Typische Elternbotschaften: Streng dich mehr an! Mir wäre das nicht passiert! Du hast nicht genug geübt!
Negative Folge: eine angespannte Überwachungsmentalität; die Eltern üben eine Art Richteramt aus; es gibt ständige Machtkämpfe; das Gerechtigkeitsempfinden ist gespalten (auch perfekte Eltern machen Fehler, aber das dürfen die Kinder nicht bemängeln).
Abhilfe: Haben Sie Mut zur Unvollkommenheit. Die bisherige Ordnung wird bei Veränderungen nicht gleich zusammenbrechen. Sehen Sie jedes Ereignis einzeln, hüten Sie sich vor Verallgemeinerungen („Nie räumt ihr auch nur ein Fitzelchen auf!“). Lassen Sie sich ruhig ein bisschen von der Lockerheit Ihrer Kinder anstecken. Seien Sie nachsichtig bei der Kindererziehung, lassen Sie auch mal Fünfe gerade sein – und tragen Sie’s mit Humor und Geduld.
2. Bauen Sie Zeitdruck ab
Kinder bummeln, Eltern drängeln.
Typische Elternbotschaften: Jetzt trödel doch nicht so! Ich hab jetzt keine Zeit. Wegen Dir verpassen wir das noch! Jetzt nicht! Ein andermal!
Abhilfe: Führen Sie Erholungspausen für Eltern und Kinder ein. Manchmal hilft es schon, wenn Eltern und Kinder einen Mittagsschlaf halten.
Planen Sie alle Termine mit reichlich „Luft“, rechnen Sie mit Verzögerungen. Je später es am Tag ist, umso länger brauchen die (jetzt müden) Kinder für ihre Tätigkeiten.
Entwickeln Sie besonders am Abend keine Hektik. Führen Sie ein klares Gute-Nacht-Ritual ein, das etwa 20 Minuten dauert und vom Spiel zur Ruhe übergeht (z. B. Toben oder Quatschmachen, Schmusen, Vorlesen, Licht ausmachen, Lied, Gebet). Widmen Sie sich in dieser Zeit Ihrem Kind ganz. Gehen Sie nicht ans Telefon.
3. Halten Sie Sorgen und Ängste klein
Kindererziehung, die durch permanente Vorsicht und Sichängstigen der Eltern geprägt ist, führt zu mangelndem Selbstbewusstsein und Duckmäusertum der Kinder. Oder – eines Tages – zu Rebellion und überzogener Risikobereitschaft.
Typische Elternbotschaften: Das kannst du nicht. Wie willst du denn das schaffen? Das ist zu gefährlich. Da kann so viel passieren.
Abhilfe: Setzen Sie Ermahnungen nur sparsam ein. Begründen Sie Ihre Sorge klar und sachlich. Geben Sie Ihren Kindern in etwa so viel Freiraum, Taschengeld und Ausgehzeit, wie ihre Altersgenossen auch haben.
Vereinbaren Sie bei Teenagern, die abends weggehen dürfen, klare Sicherheitsmaßnahmen: Legen Sie eine genaue Rückkehrzeit fest, oder wann und wo Sie Ihr Kind abholen. Geben Sie ihm eventuell ein Handy mit und Notfallgeld für ein Taxi. Bieten Sie das sichere Netz der elterlichen Unterstützung an: Wenn etwas passiert ist, kommst du zuerst zu uns! Wir helfen dir. Trauen Sie Ihren Kindern etwas zu, geben Sie ihnen Ermutigung und den Freiraum, selbst etwas auszuprobieren. Zeigen Sie Geduld, wenn etwas nicht klappt: „Das kannst du beim nächsten Mal besser.“
4. Setzen Sie Grenzen
Wenn Sie keine Werte, sondern grenzenlose Freiheit vermitteln wollen, empfinden Sie das vielleicht als toleranten Stil der Kindererziehung. Es handelt sich dabei aber auch um eine Führungsschwäche: Sie wollen Ihre Elternrolle nicht annehmen und sich stattdessen auf eine Ebene mit den Kindern stellen („Wir sind Freunde“) oder überlassen Ihren Kindern die Entscheidung ganz („Ich geb’s auf“).
Negative Folgen: Derart „freigelassene“ Kinder entwickeln keine innere Uhr, um ihren Tag zu strukturieren. Sie haben Schwierigkeiten, ein soziales Wertegefühl und Achtung vor den Grenzen anderer zu entwickeln. Solche Kinder werden zu „Hochstuhltyrannen“, die alle dominieren. Unter ihren Altersgenossen werden sie zu Außenseitern.
Abhilfe: Braten Sie Ihren Kindern nicht ständig eine Extrawurst. Beachten Sie die Geschwisterreihenfolge mit abgestuften Rechten und Pflichten. Achten Sie vor allem bei einem Einzelkind auf klare Unterschiede zwischen Kind und Erwachsenen. Akzeptieren Sie Ihre Funktion als Vorbild und Leitung. Auch wenn’s bei der Kindererziehung schwer fällt: Ziehen Sie Grenzen. Machen Sie Ihren Kindern deutlich, dass sie die Rechte und Grenzen anderer beachten müssen.
5. Vermeiden Sie Stress beim Essen
Bei kleinen Kindern ist Kleckern normal. Kommentieren Sie nicht andauernd negativ, und versuchen Sie nicht, jeden Tropfen im Voraus zu verhindern. Das bremst sonst die Lust am Essen und an der Tischgemeinschaft. Greifen Sie lieber auf praktische Lösungen zurück: Lätzchen, abwischbare Tischsets, ausgießsichere Tassen.
Lange Mahlzeiten machen Kinder ungeduldig. Kleine Kinder können Sie am Tisch sitzen lassen, wenn Sie ihnen nach dem Essen etwas zum Spielen geben. Größere Kinder sollten, wenn Sie mit ihrem Essen fertig sind, noch kurz am Tisch sitzen bleiben, um die Tischgemeinschaft zu lernen. Nach ein paar Minuten dürfen sie aber vorzeitig aufstehen und in die Spielecke oder ins Kinderzimmer gehen.
Wenn ein Kind kaum oder nichts essen will, kann es die Mahlzeit auslassen. Bis zur nächsten gibt es aber nichts – außer Obst.
Kritisieren Sie das Essverhalten nicht permanent (Schmatzen, Kleckern, Reden mit vollem Mund). Kontrollieren Sie nicht ständig die Menge und Qualität dessen, was das Kind isst – besonders wichtig für Eltern, die auf gesunde Kost achten. Sonst wird das Essen für Ihr Kind zum Streikthema, und die gut gemeinte Kindererziehung zum Thema Ernährung schlägt ins Gegenteil um: heimliche Fastfood-Orgien mit Freunden.
Lustvoll essen und mit dem Essen spielen macht Kindern Spaß. Kochen Sie einmal in der Woche ein „Panschessen“, und erlauben Sie den Kindern, verrückte Kombinationen auszuprobieren: Apfelmusgesichter auf den Pfannkuchen, Tiere aus Kartoffelbrei.
Kochen Sie 1-mal pro Woche ein Lieblingsessen Ihres Kindes, und lassen Sie es weitere Vorschläge für den Speiseplan machen.
Geben Sie jedem Kind die Möglichkeit, bei Tisch mitzureden und zu erzählen. Zeigen Sie Interesse, aber fragen Sie die Kinder nicht ständig aus. Erzählen Sie auch von sich.
Besprechen Sie Probleme nach dem Essen. Auch Partnerprobleme sollten Sie nicht in Gegenwart der Kinder thematisieren, schon gar nicht beim Essen. Versuchen Sie keinesfalls, die Kinder auf Ihre Seite zu ziehen.
6. Leben Sie mit ein wenig Unordnung
Kinder und Eltern haben völlig verschiedene Auffassungen von Ordnung. Eltern leiden unter der Unordnung im Kinderzimmer, Kinder unter dem „Aufräumfimmel“ ihrer Eltern.
Tipps gegen die kindliche Unordnung: Schaffen Sie sich „spielzeugfreie Zonen“ und bestehen Sie auf Einhaltung solcher „heiligen Räume“ (z.B. Flure, Schlafzimmer der Eltern, Leseecke, Arbeitszimmer).
Geben Sie bestimmte Räume nur zeitlich begrenzt zum Spielen frei und verlangen sie, dass sie (z. B. bis zum Abendessen) wieder aufgeräumt werden.
Was an Spielsachen „herrenlos“ in der Wohnung herumfliegt und nach 2-maliger Erinnerung nicht aufgeräumt wurde, kommt in einen „Zaubersack“, der 3 bis 4 Tage lang zu bleibt.
Räumen Sie nicht für Ihre Kinder auf, sondern höchstens mit ihnen. Ein Rundum-Service passt zu einem Hotel, aber nicht in eine Familie.
Misten Sie mit den Kindern die Regale im Kinderzimmer aus. Legen Sie einen großen Schuhkarton an, in der das Kind die „Schätze“ verstauen kann, von denen es sich noch nicht trennen kann. Verstecken Sie den Schatz. Nach ein paar Wochen sucht sich das Kind aus dieser Kiste den „allerbesten“ Schatz aus. Der Rest kommt weg, und in die Schachtel wandern neue „Schätze“.
Waschen Sie bei größeren Kindern nur die Kleidung, die von den Kindern selbst in die Wäschetonne gesteckt wurde. Der Wäschenachschub stagniert solange.
Freuen Sie sich laut, wenn ein Zimmer aufgeräumt wurde. Drücken Sie Ihre Anerkennung mit ein paar Worten aus, aber zahlen Sie keine Belohnung für etwas, was Sie eigentlich als Selbstverständlichkeit erwarten.
Vertrauen Sie darauf, dass Ihr Kind später mit großer Wahrscheinlichkeit den Ordnungsstil imitieren wird, den Sie ihm vorgelebt haben – auch wenn es als kleines Kind ganz und gar unorganisiert gewirkt hat. Es ist also am wirksamsten, wenn Sie Ihre eigenen Bereiche in Schuss halten.
7. Sehen Sie Krankheiten als Chance
Kranke Kinder bringen Stress in jede Familie. Gewohnte Abläufe funktionieren nicht mehr, die Eltern werden ungeduldig und besorgt, die Kinder jammern und nerven.
Typische Elternbotschaften: Reiß dich zusammen! Sei nicht so wehleidig! Hab dich nicht so!
Abhilfe: Machen Sie sich und Ihren Kindern klar: Krankheiten sind ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung. Das gilt nicht nur für die klassischen Kinderkrankheiten. Auch eine Erkältung oder eine Allergie formt die Persönlichkeit. Geben Sie Ihrem Kind vor allem die Gewissheit, dass es in Sicherheit ist und dass alles gut wird. Damit es Bettruhe hält, dürfen Sie es ruhig etwas verwöhnen, sodass es die Genesungszeit als etwas Positives erlebt.