Stressbewältigung beim Sport: Unterfordern Sie sich!

Stressbewältigung beim Sport: Unterfordern Sie sich!

Wie Sie fit bleiben, ohne viel Zeit dafür zu opfern

95 % aller Freizeitsportler überfordern sich, ohne es zu wissen. Sport ist nicht automatisch gesund. Weder für den Körper noch für die Seele, denn in fast allen Sportarten, selbst den Fitness-Aktionen, wird ein Klassensystem aufgebaut: Anfänger, Fortgeschrittene, Leistungssportler. Ein mutiger Einsteiger wird erst einmal gedemütigt. Er will in seiner Gruppe nicht der schlechteste sein – und schon ist er wieder im Leistungssog, dem er durch seine sportliche Aktivität ja gerade entfliehen wollte.

Also gar kein Sport? Gern wird hier Winston Churchills Lebensregel „First of all – no sports" zitiert. Wer das tut, sollte bedenken, dass der große Zyniker die letzten 14 Jahre seines bewegungsarmen Lebens im Rollstuhl verbrachte.Die Lösung heißt: Spaß! Sport, so die Forderung des Gesundheitstrainers (und ehemaligen Leistungssportlers) Gert von Kunhardt, sollte spaßpflichtig sein. Schwelgen statt schwitzen. Sanfte Bewegung statt harten Trainings. So gelingt auch die Stressbewältigung.

Minutentrainings

Rückenschmerzen, Verspannungen, Anfälligkeit gegenüber Erkältungskrankheiten – all das und viel mehr können sie vermeiden, indem Sie Ihre Muskeln trainieren. Fast alle wichtigen Stoffe, die Ihr Körper zum Leben und Gesundbleiben braucht, kann er in den Muskeln selbst erzeugen. Kraft- und Ausdauertraining ist für Gesundheit und Wohlbefinden unabdingbar. Aber: Fast immer wird, wenn der Entschluss dazu erst einmal gereift ist, des Guten zu viel getan. Der simplify-Rat: Steigen Sie um auf „Bewegungs-Homöopathie", bei der kleine Mengen genügen und die auf Stressbewältigung beim Sport setzt.Die schnellste Methode, verkümmerte Muskeln wieder wachsen zu lassen, sind isometrische Übungen: 5 bis 10 Sekunden Anspannen gegen einen nicht ausweichenden Widerstand. Balanceübungen sind gut für die Mikromuskulatur, und jede dynamische Bewegung tut Ihrem Kreislauf gut. Solche Kurzzeittrainings können Sie zu einem festen Ritual Ihres Tagesablaufs machen. Der simplify-Trick: Verbinden Sie wiederkehrende Aktivitäten mit bestimmten Übungen:

  • Gehen Sie beim Zähneputzen in die Skiabfahrtshocke und wippen Sie dabei leicht.
  • Trocknen Sie sich nach dem Duschen übertrieben gymnastisch ab.
  • Rasieren Sie sich grundsätzlich auf einem Bein stehend.
  • Auch das Zuknöpfen von Hemd oder Bluse, Krawattebinden, Schmuck anlegen, Schuh zubinden: grundsätzlich auf einem Bein.
  • Wenn Sie warten müssen, gehen Sie auf der Stelle (die „Venenpumpe").
  • Beim Warten im Auto drücken Sie 10 Sekunden gegen das Lenkrad, spannen Sie die Gesäßmuskeln an, kreisen Sie mit Schultern und Kopf.

Laufen mit Verstand

Zu den effizientesten Übungen gehört nach wie vor das Laufen. Denken Sie aber nicht an Joschka Fischer (siehe Kasten unten), sondern allein an sich, und befolgen Sie von Kunhardts einfache Regeln zur Stressbewältigung:

  1. Wärmen Sie sich vor dem Laufen auf: Recken, strecken, dehnen und lockern. 1 bis 2 Minuten genügen.
  2. Lockern Sie während der ersten 30 Sekunden Laufen bewusst Arme und Schultern, vermeiden Sie bewusst Anstrengung und versuchen Sie, einen Rhythmus zu finden.
  3. Ziehen Sie während der nächsten Laufminute dann willentlich die Bremse an – bis Sie das Gefühl haben, auf der Stelle zu laufen.
  4. Genießen Sie während der nächsten Minuten die fantastischen Prozesse in Ihrem Körper: Die Zahl der roten Blutkörperchen erhöht sich, der Blutdruck steigt, die Adern weiten sich, die Hormonregulation setzt ein. 
  • Es kommt beim Laufen nicht auf Tempo, Zeit oder Streckenlänge an, sondern allein auf Ihr subjektives Wohlbefinden. Machen Sie sich unabhängig von den spöttischen Blicken anderer. Vergessen Sie alle Ideale vom sportiv aussehenden Joggen. Was Sie da machen, ist das urgesunde „Joggeln".
  • Nach 5 Minuten sind die körperlichen Anpassungsvorgänge abgeschlossen. Nun können Sie ohne Probleme weiterlaufen. Genießen Sie die Umgebung, den Himmel, die Pflanzen.
  • Nach 10 bis 20 Minuten Joggeln gibt es einen Qualitätssprung: Neue Kapillargefäße entwickeln sich, schädliche Cholesterine werden abgebaut, der Hormonhaushalt stellt auf stressmindernde Regulation um. Subjektiv haben Sie das leichtfüßige Gefühl, noch endlos so weiterlaufen zu können. Wenn Sie an den „toten Punkt" kommen, haben Sie etwas falsch gemacht.

Wenn Sie lieber Rad fahren, wenden Sie die gleichen Regeln an. Das für Rücken und Gelenke gesündeste Fahrrad ist dabei das gute alte Holland- oder Trekkingrad, bei dem der Oberkörper möglichst aufrecht sitzt.

Motivationshilfen

  • Fangen Sie klein an: Erfrischen statt erschöpfen! Unterfordern Sie sich!
  • Fangen Sie aus Überzeugung an, nicht aus Überredung.
  • Stellen Sie einen Trainingsplan auf: Wann anfangen? Wie oft? Wie lange? Wo?
  • Lassen Sie sich kontrollieren: Verabreden Sie sich mit einem Trainingspartner (aber nicht mit einem, der Sie überfordert!); tragen Sie jedes absolvierte Training in Ihrem Kalender ein.
  • Machen Sie sich klar, dass auch das kleinste 5-Minuten-Training ein Gewinn ist.
  • Es ist nie zu spät! Selbst bei 70-Jährigen sind erstaunliche Muskelzuwächse und Verbesserungen der Herz-Kreislauf-Leistung möglich.

Eine leicht lesbare Zusammenfassung ist Gert von Kunhardt, Keine Zeit und trotzdem fit, Campus Verlag, Moers 1999. ISBN 3593383810, 14,90 €.

So kam es zu diesem Artikel

simplify-Leser Gert von Kunhardt war empört über unseren Beitrag „So laufen Sie sich glücklich": „Das Leistungs-Gejogge, das wir unseren Kunden seit Jahren auszureden versuchen, schreiben Sie hier wieder als Empfehlung rein." Und er belegte seine Überzeugung mit eindrucksvollen Zahlen. Der Artikel über Joschka Fischers Lauftraining enthielt zwar nichts prinzipiell Falsches, aber der Leistungsdruck „Werde Marathonläufer wie der Bundesaußenminister" war schon zu spüren. Wir bauen also um: vom Joggen zum Joggeln, von Fitness zum Wohlbefinden, von Fischer zu von Kunhardt.

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