„Volkskrankheiten“ nennen Mediziner Erkrankungen, wenn sie mehr als 5 % der Bevölkerung betreffen. Die Schilddrüsenentzündung hat vor ein paar Jahren diese Marke geknackt: Bis zu 8 % der Westeuropäer, so schätzt man, haben sie bereits, deswegen behandelt werden allerdings nur 2 %. Etwa jeder Zwanzigste ist also davon betroffen, ohne es zu ahnen. Und das kann böse Folgen haben.
Benzin und Gaspedal
Die Schilddrüse liegt wie ein Schild vor der Luftröhre unterhalb des Kehlkopfs und ist das wichtigste Steuerungsorgan unseres Stoffwechsels. Sie produziert das Hormon T3, das Mediziner mit dem Benzin im Automotor vergleichen: Ist genug da, läuft das Herz mit dem richtigen Puls; Verdauung, Hungergefühl, Temperatur und Allgemeinempfinden sind in Balance. Gibt es zu viel T3, wird dem Patienten heiß, er verliert trotz vielen Essens an Gewicht, ist unruhig und hat typischerweise schwitzige Hände. Das ist die (eher seltene) Überfunktion Hyperthyreose (hyper = zu viel, thyreoidea = Schilddrüse).
Wesentlich häufiger ist eine Unterfunktion, die Hypothyreose (hypo = zu wenig), die von einer Autoimmunerkrankung verursacht wird. Solche Autoimmunerkrankungen nehmen stetig zu: Unsere in moderner sauberer Umgebung unterbeschäftigten Abwehrkörper greifen gesunde Organe an. Die Attacke auf die Schilddrüse heißt nach ihrem japanischen Entdecker, dem Arzt Hakaruo Hashimoto (1881–1934), Morbus Hashimoto.
Burnout oder müde Drüse?
Die Symptome von „Hashi“ ähneln auffallend dem viel zitierten Burnout-Syndrom: Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Gewichtszunahme trotz Diät, Frieren, verringerte sexuelle Lust, gelegentlich Gelenkschmerzen oder Konzentrationsstörungen. Viele Betroffene gehen daher nicht zum Arzt, weil sie die Ursache im seelischen Bereich vermuten und darauf bauen, dass sich alles wieder einrenken wird, wenn z. B. die Stressphase im Job vorüber ist. Andere werden wegen unklarer Symptome von Arzt zu Arzt weitergereicht oder lassen sich mit Antidepressiva behandeln.
simplify-Rat: Natürlich liegt nicht jedem Traurigkeitsanfall eine Schilddrüsenunterfunktion zugrunde. Wenn Sie aber Anzeichen von Burnout bei sich feststellen, sollten Sie unbedingt die Thyreo-Werte bestimmen lassen.
Was die Krankenkasse beim Blutbild immer übernimmt, ist die Messung von TSH, dem „Thyreoidea stimulierenden Hormon“. Es wird von der Hirnanhangdrüse produziert und wirkt wie ein Gaspedal, das der Schilddrüse signalisiert: Bitte mehr T3 bereitstellen! Ist der TSH-Wert erhöht, deutet das auf eine eventuell durch „Hashi“ verkleinerte Schilddrüse hin – ähnlich wie der Fahrer bei einem Auto mit schwachem Motor extra viel Gas gibt, um schneller voranzukommen. Der Normwert auf vielen Laborzetteln liegt bei 0,4 bis 4,0 mIU/l, Hormonspezialisten gehen jedoch neuerdings davon aus, dass der Wert zwischen 0,5 und 2,0 mIU/l liegen sollte. Lassen Sie sich daher von Ihrem Arzt den Wert sagen! Denn bei gemessenen 3,2 sagt der vielleicht „alles ok“, obwohl bereits eine latente Unterfunktion vorliegen könnte.
Komplexes Zusammenspiel
Ist das TSH zu hoch, sollten Sie weitere Werte ermitteln lassen, auch wenn Ihre Krankenkasse das nicht bezahlt: T3 und T4 geben an, wie viel „Hormonbenzin“ sich im Blut befindet. T4 ist dabei die Speicherform (L-Thyroxin), T3 das viel aktivere Steuerhormon. MAK, TAK und TRAK sind Antikörper, die die Schilddrüse angreifen. Mit deren Messung lässt sich Morbus Hashimoto aufspüren, eine Ultraschalluntersuchung bringt anschließend letzte Gewissheit. 00 simplify-Rat: Lassen Sie außerdem den Selenwert bestimmen, auch wenn das schulmedizinisch nicht Standard ist. Denn bei Selenmangel ist die Umwandlung von T4 in T3 gestört.
Die gute Nachricht
Keine andere Autoimmunerkrankung lässt sich – vergleichsweise – so elegant und fast ohne Nebenwirkungen behandeln wie „Hashi“. Es genügt die tägliche Einnahme von T4-Tabletten. Die Dosierung optimiert der Arzt durch etwa alle 3 Monate durchgeführte Blutmessungen. Neben der täglichen Gabe von L-Thyroxin (zwischen 25 und 150 Mikrogramm) wird empfohlen, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren als Öl oder in Tablettenform zu sich zu nehmen. Hashimoto-Patienten sollten Jod meiden, also kein jodiertes Salz verwenden, Süßwasserfisch gegenüber dem stark jodhaltigen Seefisch bevorzugen und höchstens Bio-Eier essen. Dr. Volker Schmiedel, Chefarzt an der Habichtswaldklinik, empfiehlt außerdem Vitamin D3 und Selen.
simplify-Rat: Auch wenn Ihre Werte momentan in Ordnung sind – es lohnt sich, auf die Schilddrüse zu achten. Vor allem im Zuge von Hormonumstellungen (Wechseljahre) und dann, wenn es in Ihrer Familie schon einmal eine ähnliche Erkrankung gab.