Wenn Ihr Kollege oder Nachbar, Freund oder Partner psychisch erkrankt
Millionen von Menschen erkranken jährlich an einer psychischen Störung – es kann tatsächlich jeden treffen. Und doch werden Depressionen (zu denen auch das „Burnout„-Syndrom gehört), sogenannte bipolare Störungen („manische Depressionen“), Schizophrenie, Angst- und Zwangsstörungen oft noch tabuisiert. Tipps, wie Sie mit betroffenen Menschen umgehen, hat uns der Klinikseelsorger Josef Schwarzenböck gegeben.
Es ansprechen oder nicht?
Sie haben von der psychischen Erkrankung eines Kollegen, Nachbarn oder Bekannten erfahren und sind sich unsicher, ob Sie das Thema anschneiden sollen? Meist wird auch der psychisch kranke Mensch unsicher sein: Wissen die anderen Bescheid? Mit wem kann er offen darĂĽber reden?
simplify-Tipp: Verschaffen Sie ihm Klarheit, z. B. durch: „Ich glaube, dass es dir schlecht gegangen ist. Schön, dass wir uns heute sehen.“ Oder: „Ich habe gehört, dass du krank bist. Wie geht’s?“ Bohren Sie aber nicht nach! Durch seine Antwort kann der andere Ihnen signalisieren, ob er das Thema vertiefen will oder nicht.
So bewahren Sie sich Ihren Respekt
Viele psychisch kranke Menschen leiden darunter, dass ihre Umgebung den Respekt vor ihnen verloren hat – beispielsweise weil sie die einfachsten Dinge des Alltags nicht mehr auf die Reihe kriegen oder in einer manischen Phase „Verrücktheiten“ wie Unsinnskäufe begangen haben.
simplify-Tipp: Sehen Sie den anderen als einen Menschen in Not, der besonderen Respekt verdient – so wie jemanden, der gegen eine schwere körperliche Krankheit wie Krebs kämpft. Nehmen Sie ihn aber nicht nur als Kranken wahr. Schließlich kennen Sie Frau Müller nicht nur als „die Depressive“, sondern auch als Ihre geschätzte Kollegin, die viel geleistet hat, gerne reist und spannend davon erzählen kann.
Zeigen Sie Ihren Respekt, indem Sie …
… die Krankheit ernst nehmen. Keine Sprüche wie „Man muss nur wollen“ oder „Ist doch gar nicht so schlimm“! Besonders wichtig für depressive Menschen: Ermutigen Sie zu Aktivitäten, aber überfordern Sie nicht. Ihr depressiver Freund ist mit Ihnen einkaufen gegangen? Bereits ein „Schau, es geht doch!“ könnte die Gegenreaktion „Ich zeig dir, wie krank ich wirklich bin!“ hervorrufen. Besser daher: „Schön, dass du das geschafft hast!“
… den Kontakt pflegen, auch wenn Ihre Begegnungen nicht immer erfreulich sind, etwa weil Sie beschimpft werden.
… ein Stück des schweren Wegs mitgehen, das heißt: es beispielsweise ertragen, wenn der Betreffende sich in Ihrem Dabeisein in der Öffentlichkeit unpassend benimmt.
… langsam und deutlich, aber ansonsten „normal“ sprechen (ohne herablassenden bzw. Strenge-Eltern-Ton).
simplify-Tipp: Ein Mensch in einer manischen Phase benötigt viel Freiraum. Natürlich müssen Sie auf Ihre eigenen Grenzen achten, aber: Vermeiden Sie es möglichst, auf ihn einzureden oder ihn gewaltsam zu bremsen.
Wenn ein naher Angehöriger erkrankt ist
Suchen Sie fachliche Hilfe. Zu Beginn einer Krankheit wollen Betroffene oft nicht wahrhaben, dass sie einer Behandlung bedürfen. Sprechen Sie das Thema behutsam an: „Ich beobachte, dass du … Dafür gibt es Hilfe …. Lass uns zum Arzt gehen.“ Hat Ihr Angehöriger Vertrauen zu seinem Allgemeinarzt, ist der eine gute 1. Anlaufstelle. Vielleicht ist ihm aber auch eine psychiatrische Facharztpraxis lieber, wo ihn niemand kennt? Machen Sie sich frei von den leider noch weit verbreiteten Vorurteilen über psychiatrische Kliniken („Irrenhäuser“): Ist eine medikamentöse Behandlung angezeigt, lässt sich bei einem Klinikaufenthalt oft am besten austesten, welches Medikament das Beste ist.
Sorgen Sie gut für sich selbst. Informieren Sie sich, und lassen Sie sich beraten. Infos, auch über Anlaufstellen und Selbsthilfegruppen, erhalten Sie im Internet etwa unter buendnis-depression.de/ oder psychiatrie.de/familienselbsthilfe/rat/. Extrem wichtig: Gönnen Sie sich genügend Zeiten, in denen Sie neue Kräfte tanken – ob mit einem Spaziergang in der Natur, beim Shoppen oder durch ein Vormittagsnickerchen nach einer schlechten Nacht. Betreuen Sie Ihren Angehörigen nicht rund um die Uhr, sondern lassen Sie sich entlasten – sei es durch andere Angehörige oder durch eine Tagesstätte für psychisch Kranke.
Treffen Sie Vereinbarungen. Psychische Krankheiten sind oft von einem starken Auf und Ab gekennzeichnet. Besprechen Sie miteinander in einer besseren Phase, was passieren soll, wenn es wieder stärker abwärts gehen sollte (z. B. wann Sie einen bestimmten Arzt kontaktieren). Halten Sie diesen „Notfallplan“ schriftlich fest, und unterschreiben Sie ihn beide.
Wägen Sie ab, wen Sie informieren. Offenheit ist zwar prinzipiell gut, kann aber auch auf Vorurteile stoßen und erschwert einen unbefangenen Umgang. Nicht jeder Nachbar und Bekannte muss Bescheid wissen! Bekommt die Umgebung allerdings ohnehin mit, dass etwas nicht stimmt, ist „aufklären“ das einzig Richtige. Tipp: Wenn Sie das Wort „Depression“ vermeiden wollen, tut es auch der mit weniger Vorurteilen behaftete Begriff „Burnout“.