Seine Bücher kenne und liebe ich (Tiki) seit vielen Jahren. Vor einiger Zeit konnte ich ihn endlich auch persönlich kennenlernen: Karlheinz Geißler, 72, war früher Professor für Wirtschaftspädagogik an der Bundeswehruniversität München. Selten habe ich einen Menschen erlebt, der so viel sympathische Ruhe ausstrahlt. Zusammen mit seinem Sohn Jonas betreibt er das Zeitberatungsinstitut timesandmore.com.
Geduld als Tugend
„Meine größte Schwäche ist Ungeduld“, sagen Führungsleute gern in Bewerbungsgesprächen, weil das so schön dynamisch klingt. Geißler erkrankte mit 5 Jahren an Kinderlähmung. Er musste 12 Monate lang im Bett liegen und danach das Gehen neu lernen. Seine Beine blieben in der Bewegung eingeschränkt. Nie konnte er zum Bus rennen, für jede Aufgabe musste er mehr Zeit einkalkulieren als seine Altersgenossen. Irgendwann fragte er sich, was er im Unterschied zu anderen besser konnte, und merkte: Ich habe Geduld und kann sehr gut warten.
simplify-Konsequenz: Nehmen Sie sich für die nächste Woche vor, Wartezeiten nicht zu vermeiden, sondern bewusst zu erzeugen. Sagen Sie sich, während Sie zu früh am Bahnsteig stehen oder vor einem Meeting als Allererster im Besprechungsraum sitzen: „Ich bin ein Meister des geduldigen Wartens.“ Vielleicht entdecken Sie ganz neue Fähigkeiten in sich!
Pausenkultur entwickeln
Entschleunigung ist ein Begriff, den Geißler nicht so sehr mag. Denn wir Menschen lieben es durchaus, so seine Beobachtung, uns auch einmal richtig zu verausgaben. Problematisch ist das nur für den, der sich danach keine Pause gönnt. Die „Hetzkrankheit“ hält Geißler für die Hauptbelastung der Gegenwart. Das beste Gegenmittel: großzügig bemessene Pausen.
simplify-Konsequenz: Eine Pause, bei der Sie ständig auf die Uhr sehen, um ja nicht das Ende zu verpassen, ist keine richtige Pause. Planen Sie generöse Auszeiten, in denen Sie sich nicht auch noch mit dem Ausruhen beeilen müssen. Geißler setzt bei seinen Seminaren eine Mittagspause von 12:00 bis 15:00 Uhr an – für neue Teilnehmer meist ein schockierendes Erlebnis. Aber nach den 3 Stunden staunen alle über den positiven Effekt. Machen Sie sich in Ihrem Umfeld stark für eine Pausenkultur. Fördern Sie gemütliche Kaffeerunden, statt sie als unproduktiven Leerlauf zu betrachten. Halten Sie, wenn Sie zu Hause sind, mittags ein Nickerchen, und lassen Sie sich nicht von Ihrem Wecker, sondern von der Sonne oder Ihrer inneren Uhr wecken.
Ohne Uhr leben
Geißler besaß noch nie eine Armbanduhr. Der Diktatur eines Zeitmessgeräts wollte er sich nicht unterwerfen. Sein Rezept für einen gelassenen Umgang mit der Zeit: natürlicher Rhythmus anstatt mechanischer Takt. Eine dem natürlichen menschlichen Zeitempfinden angepasste Minute hat mal 50, mal 70 Sekunden.
simplify-Konsequenz: Schaffen Sie sich Zeitbereiche, in denen Sie keine Uhr brauchen und auch keine im Blickfeld haben. Nehmen Sie sich eine Aufgabe vor und gestatten Sie ihr, sich die erforderliche Zeit zu nehmen – und nicht umgekehrt. Probieren Sie konsequent eine Woche ohne Uhr: Gehen Sie so früh ins Bett, dass Sie ohne Wecker rechtzeitig aufwachen. Fahren Sie so überpünktlich zu Terminen los, dass Sie zwischendurch nicht auf die Uhrzeit achten müssen. Haben Sie am Zielort ungewohnten Leerlauf, nehmen Sie das als Geduldstraining (siehe oben).
Termine minimieren
Geißler macht, wenn überhaupt, pro Tag nur einen Termin aus. So kann er, wenn er Gäste erwartet, zu ihnen sagen: „Kommen Sie, wann Sie wollen. Bei mir sind Sie immer pünktlich.“ Wann konnten Sie jemandem schon einmal solch einen befreienden Satz sagen? „Termin“ kommt vom lateinischen terminus, „Ziel“. In Geißlers unrealistisch wirkender Beschränkung auf einen Termin pro Tag steckt eine reizvolle Betrachtungsweise: Einen Tag empfinden Menschen in der Regel als gelungen, wenn sie ein Ziel (ihr Tagesziel) erreicht haben.
simplify-Konsequenz: Nehmen Sie sich Ihren Terminkalender vor, und formulieren Sie für jeden Tag der letzten Woche rückwirkend die erreichten Ziele. Sie werden merken: Oft war es nur eins! Überfrachten Sie Ihre Arbeitstage nicht mit unrealistischen Erwartungen. Wenn Sie sich auf das Wesentliche konzentrieren, sinkt die Zahl unnötiger Termine automatisch.
Grenzen setzen
In den 1970er-Jahren bearbeiteten (leitende) Angestellte im Schnitt 4 Nachrichten pro Tag, in der Regel Briefe. Heute sind es 100 Nachrichten! Möglich wird diese enorme Zahl, weil viele Bürowerker nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch unterwegs und zu Hause Botschaften lesen und beantworten.
simplify-Konsequenz: Definieren Sie für sich selbst klar abgegrenzte Offline-Zeiten. Beantworten Sie berufliche Nachrichten, die nach 18:00 Uhr eintreffen, grundsätzlich erst am nächsten Vormittag – auch die „ganz eiligen“! Leben Sie mit dem Ruf, zu den lausig langsamen Beantwortern zu gehören. Zählt man Sie erst einmal zu dieser Gruppe, wird man Sie nicht mehr mit „Eilig“-Mails behelligen, sondern sich damit an andere wenden. Für alles, was eilig und wichtig ist, gibt es immer noch das Telefon!