- Hören Sie auf den Experten – Ihr Herz
- Die Therapie: Eine Gegengeschichte
- Herz hinter Gittern
- Herz in Angst
- 1. Schritt in die Gefangenschaft: Das stumme Herz
- 2. Schritt in die Gefangenschaft: Der taube Mensch
- Der Ausweg
- 1. Schritt aus der Gefangenschaft: Die Botschaften des Herzens hören
- 2. Schritt aus der Gefangenschaft: Die Botschaften des Herzens mitteilen
- Im Einklang mit dem Herzen leben
Hören Sie auf den Experten – Ihr Herz
Sibylle hatte eigentlich keinen Grund zu klagen. Sie sah attraktiv aus, hatte eine fundierte Ausbildung und einen gut bezahlten Beruf – und doch fühlte sie sich, als stecke sie fest. Gefangen in einem Leben, das sie hasste. Sie träumte davon, Künstlerin zu sein, aber ihre Eltern hatten ihr ein solides Standardleben verordnet.
Die Therapie: Eine Gegengeschichte
Sibylle suchte Hilfe bei der renommierten amerikanischen Psychologin Martha Beck. Die erzählte ihr, nachdem sie sich einige Sitzungen lang mit Sibylles Situation vertraut gemacht hatte, eine wahre Geschichte:
In den 70er-Jahren war in Kambodscha ein junger Mann namens Aron von den gefürchteten Roten Khmer gefangen genommen worden. Eines Nachts wurde ihm mitgeteilt, dass er bei Sonnenaufgang erschossen würde. Er erinnert sich: „In diesem Moment war ich total frei. Ich konnte jede Gelegenheit, die sich bot, zur Flucht nutzen.“ Und das tat er. Als er zur Hinrichtung geführt wurde, entdeckte er eine schwache Stelle im Zaun. Er rannte los, durchbrach den Stacheldraht und floh in den Dschungel. Sorge, dabei getötet zu werden, hatte er keine mehr, denn erschießen wollte man ihn ja sowieso. Seine Lehre aus diesem Erlebnis, das ihm und mehreren Mitgefangenen das Leben gerettet hat: „Wenn dein Herz frei ist, bist du frei – ganz gleich, was mit deinem Körper passiert.“
Herz hinter Gittern
Aus Arons Flucht können nach Ansicht von Martha Beck viele Menschen im freien Westen lernen. Bei uns fühlen sich (wie Sibylle) viele Menschen blockiert und gefangen, obwohl sie körperlich völlig frei leben. Aber ihr Herz ist in Ketten. Obwohl sie theoretisch alle Möglichkeiten haben, sich ihren Lebenstraum zu erfüllen, sind sie durch Ihre Persönlichkeitsentwicklung offensichtlich darauf trainiert, diese Möglichkeiten nicht zu nutzen. Ja, häufig nehmen sie sie nicht einmal mehr wahr.
Die Gefangenschaft des Herzens, so Martha Beck, hat einen paradox anmutenden Grund: Es lässt sich nicht belügen. Irgendwann in Ihrer Kindheit, Jugend oder als junger Erwachsener haben Sie völlig freien Zugang zu Ihrem Herzen, zu Ihren innersten Träumen und Sehnsüchten. Doch wenn Sie die äußern, hören Sie immer wieder Sätze wie diese: „Was du da sagst, ist falsch.“ – „Was du da denkst, ist dumm.“ – „Was du da fühlst, ist lächerlich.“ – „Das ist sündig.“ Das sagen die Eltern, die Freunde, der Chef, der Ehepartner.
Herz in Angst
Unser kleines Säugetierherz hört diese Vorwürfe so: „Wenn du weiterhin sagst, was du fühlst, weisen wir dich ab.“ Das Verhängnisvolle daran: Vor nichts fürchtet sich unser Herz so sehr wie vor Ablehnung. Nun ist es in der Klemme: Lügen kann es nicht, abgelehnt werden will es nicht. Sein Ausweg ist eine doppelte Strategie.
1. Schritt in die Gefangenschaft: Das stumme Herz
Die Stimme des Herzens wird leiser und hört schließlich ganz auf. Es teilt seine Gefühle nicht mehr mit.
2. Schritt in die Gefangenschaft: Der taube Mensch
Wir selbst verschließen außerdem unsere inneren Ohren vor dem, was unser Herz uns noch „heimlich“ mitteilen könnte. Die meisten Menschen lernen diese Lektion schon früh. Sie äußern ihre innersten Wünsche und Träume nicht mehr und bald glauben sie, gar keine mehr zu haben. Am Ende steht ein Mensch, der seine Gefühle „im Griff hat“, der die Erwartungen der anderen brav erfüllt und gelernt hat, sich in dieser inneren Gefangenschaft auch noch wohl zu fühlen.
Der Ausweg
Die gute Nachricht, so Martha Beck: Weil Sie das Gefängnis selbst errichtet haben, können Sie es auch selbst niederreißen. Nur Sie! Das geschieht in der umgekehrten Reihenfolge des oben geschilderten 2-stufigen Weges:
1. Schritt aus der Gefangenschaft: Die Botschaften des Herzens hören
Menschen mit gefangenen Herzen versuchen oft viele Jahre, durch Nachdenken wieder Zugang zu finden zu den Träumen und Leidenschaften ihrer frühen Jahre. Das funktioniert aber nie, denn diese Träume sind nicht im Kopf, sondern im Herzen und in den übrigen Organen des Körpers gespeichert. Träume, die längere Zeit unerfüllt bleiben, machen sich daher auch durch körperliche Schmerzen und Beschwerden bemerkbar, die sich meist jeder medizinischen Therapie verweigern.
Übung: Schreiben Sie sehr detailliert auf, was Sie in Ihrem Körper spüren, Körperteil für Körperteil. Achten Sie dabei auf alle Empfindungen, nicht nur Schmerzen. Benutzen Sie verschiedenste Adjektive: weich, hart, kalt, warm, eng, weit, steif, elastisch, wohlig, stark, brennend, müde usw. Sobald Sie das mehr als 10 Minuten tun, werden Sie bemerken, dass Sie begonnen haben, die innersten Geheimnisse Ihres Herzens zu beschreiben. Sobald Sie diese Art der inneren Beobachtung mehr als 5 Tage durchhalten, werden die körperlichen Symptome nachlassen. Das Gefängnis bröckelt.
Einige Ihrer Beobachtungen werden Sie schockieren (darum waren sie ja auch so lange verborgen). Sie werden Träume entdecken, die nicht nur Ihre Umwelt, sondern auch Sie selbst lächerlich, dumm oder sündig finden. Vielleicht sehnen Sie sich danach, nackt durch die Straßen zu laufen oder auf eine Südseeinsel auszuwandern. Sie müssen nicht jeden Ihrer wiederentdeckten Träume verwirklichen, aber Sie brauchen sie nicht mehr zu verurteilen und zu unterdrücken.
2. Schritt aus der Gefangenschaft: Die Botschaften des Herzens mitteilen
Dieser Vorgang ist nicht schmerzlos, denn Ihr Herz zerbricht dabei. Es öffnet sich nach außen und macht sich verletzlich. Viele Menschen (meistens die, denen Sie am meisten gefallen wollen) werden nicht gerne hören, was Sie zu sagen haben. Es wird verletzen – aber es wird auch heilen.
Übung: Erzählen Sie Ihre Geschichte. Schreiben Sie sie in Ihr Tagebuch. Drücken Sie sich künstlerisch aus: durch Musik, Malerei oder durch die Art, wie Sie mit Ihren Kindern sprechen. Suchen Sie sich Menschen, denen Sie davon berichten können. Finden Sie Ihren „Stamm“, der Sie versteht.
Im Einklang mit dem Herzen leben
Wenn Sie in der Persönlichkeitsentwicklung den Zugang zu Ihrem Herzen gefunden haben, werden Sie auch die Herzen anderer Menschen befreien. Ihre Partnerschaft, Ihre Familie, die Menschen in Ihrer Umgebung werden sich wandeln. Ihr Leben wird so unverwechselbar werden wie Ihr Fingerabdruck.
Martha Becks Buch „Das Polaris-Prinzip“: Integral Verlag, München 2002. ISBN 3-77879-090-0. 22,00 €.
Autor: Tiki Küstenmacher