So befreien Sie sich von tief sitzenden Ressentiments
„Das verzeihe ich dir nie!“ Auch wenn Sie diese Worte noch nie direkt ausgesprochen haben – den Gedanken kennen Sie bestimmt. Vielleicht angesichts eines Wort- oder Treuebruchs, als Ihnen jemand schweren Schaden zufügte oder als Sie verächtlich übergangen wurden. Eine Weigerung, zu verzeihen, vergiftet nicht nur die Beziehung dauerhaft, sondern auch Sie selbst. Indem Sie anderen Menschen Verzeihung schenken, schenken Sie sich selbst inneren Frieden.
Was Verzeihen ist
Verzeihen heißt zunächst: den eigenen Groll loslassen und den Gedanken aufgeben, dem anderen (der einen schlimmen Fehler begangen hat) überlegen zu sein. Eine Vergebung vom hohen Ross der eigenen moralischen Überlegenheit schafft keine Gemeinschaft, sondern wirkt trennend.
simplify-Tipp: Sprechen Sie zu sich selbst: „Ich bin auch nicht besser.“ So müssen Sie es dem anderen nicht wortwörtlich sagen, aber in Ihrer Haltung sollten Sie es ausdrücken. Der Begriff Versöhnung betont, dass beide auf der gleichen Ebene stehen. Deswegen ist er oft passender als das Wort Vergebung.
Vergeben und vergessen
Das ist schwierig, denn was Ihr Gehirn speichert, unterliegt nicht vollständig Ihrer Kontrolle. Wenn Sie jedoch Frieden mit Ihrer bitteren Vergangenheit schließen, werden Ihre Erinnerungen weniger schmerzhaft sein.
simplify-Tipp: Lassen Sie Erinnerungen an vergebene Verletzungen zu. Dadurch werden Sie davor geschützt, erneut in ähnliche Situationen zu geraten.
Ressentiments loswerden
Suchen Sie das Gespräch mit der Person, die Sie gekränkt hat. Ist das nicht (mehr) möglich, machen Sie Ihrem Groll zumindest in Ihrer Fantasie Luft. simplify-Tipp des indischen Jesuiten Anthony de Mello (1931–1987): „Stell dir vor, die Person, gegen die du Ressentiments hegst, steht vor dir. Lass sie deine Ressentiments wissen, schütte deinen ganzen Ärger über sie aus. Du darfst deinen Groll sogar durch einen körperlichen Gewaltakt ausdrücken, indem du mit der Faust auf ein Kissen schlägst.“ Durch diese Konfrontation machen Sie deutlich: Sie vergeben nicht aus einer Position der Schwäche heraus.
Wechseln Sie Ihren Fernsehkanal
Ein ansprechendes Bild verwendet der amerikanische Psychologe und Vergebungsspezialist Fred Luskin: Stellen Sie sich vor, Ihre Gefühle seien Fernsehsender. Wenn bei Ihnen allzu oft der Grollkanal läuft, programmieren Sie Ihre Fernbedienung um. Setzen Sie die Kanäle Dankbarkeit, Schönheit, Liebe und Vergebung auf die obersten Plätze. Schalten Sie öfter auf diese Kanäle. Empfangen Sie den Schönheitskanal, indem Sie die Gesichter froher Menschen im Alltag wahrnehmen oder eigens suchen. Lassen Sie (in Gedanken oder über Kopfhörer) die passende Musik dazu laufen. Üben Sie das Umschalten, wenn in Ihrem Gefühls-TV wieder der Grollkanal läuft.
simplify-Tipp: Lassen Sie bei schweren und frischen Verletzungen den Grollkanal zu, begrenzen Sie aber den Empfang – etwa auf die 5 Minuten, in denen Sie abends den Schmutz vor der Haustür zusammenkehren.
Opfergeschichte ade
Wer nicht verzeiht, bleibt dauerhaft in einer Opferrolle gefangen. Finden Sie heraus, welche gute Absicht Sie hatten, als Sie in die betreffende Situation gerieten. Dadurch gewinnen Sie mehr Souveränität über Ihr Leben und können auch den Groll loslassen. Beispiel: Sie haben Ihrer Freundin Christiane etwas Vertrauliches erzählt, und die hat es weitergegeben. Dadurch zerbrach der gemeinsame Freundeskreis. Opfergeschichte: „Christiane ist schuld daran, dass wir uns nicht mehr verstehen.“
simplify-Tipp: Erzählen Sie sich selbst Ihre Gute-Absicht-Geschichte: „Ich habe Christiane vertraut, weil ich mir eine gute Freundin gewünscht habe. Einige enge Freundschaften habe ich in meinem Leben schon erfahren. Um neue gute Freunde zu finden, werde ich …“
Vergebung für Christen
Mancher Christ fühlt sich von der Forderung bedrückt, er müsse anderen verzeihen, damit Gott ihm verzeiht. Aber dieser Gedanke stellt die Fakten auf den Kopf. Denn es ist die Grundlage des christlichen Glaubens, dass Gott die Menschen bedingungslos liebt. Das ist auch für Sie die gesündeste Art des Verzeihens: ohne Auflagen.
simplify-Tipp von de Mello: Wünschen Sie in Gedanken vor allem den Menschen Gutes, die Sie nicht mögen. Das wird Ihre Einstellung zu ihnen verändern. Lösen Sie sich von Feindbildern. Sehen Sie die Welt nicht schwarzweiß. Sie sind nicht nur weiß, und der andere ist nicht nur schwarz. Deshalb heißt es in der Bibel: „Gott lässt seine Sonne aufgehen über Guten und Bösen“ (Matthäus 5, 43–45). Zum Weiterlesen: Anthony de Mello, Meditieren mit Leib und Seele. Verlag Butzon & Bercker. Kevelaer 2008. ISBN 3766612352, 13 €. Praktische Tipps aus psychologischer Sicht gibt: Fred Luskin. Die Kunst zu verzeihen. mvg Verlag. Landsberg 2003. ISBN 3-478-08326-5. 9,90 €.