… indem Sie die Grundform Ihrer Befürchtungen erkennen
Melanie ist wie gelähmt. Nichts geht mehr. In wenigen Minuten soll sie vor 100 Menschen sprechen. Keiner will ihr etwas Böses tun. Woher kommt nur diese schreckliche Angst, die ihr die Kehle zuschnürt?
Der deutsche Tiefenpsychologe Fritz Riemann (1902–1979) hat sein Leben lang die Angst erforscht und dabei 4 Grundformen ausgemacht. Wenn Sie Ihren Angst-Typ erkannt haben, werden Sie Ihre typischen Angstsituationen besser durchschauen – und dadurch der Angst bereits viel von ihrer Macht nehmen.
Die 2 Pfeile der Angst
Die ersten beiden Angstarten befassen sich mit dem Verhältnis Ihres Ichs zu anderen Menschen, die zweiten beiden mit Ihrem Verhältnis zu Ihrer Lebenszeit.
Angst vor der Selbstwerdung (depressiv)
Die gefühlsorientierte Persönlichkeit sucht vertrauten Kontakt und hat eine ausgeprägte Sehnsucht, geliebt zu werden und zu lieben. Diese Menschen brauchen Wärme, Bestätigung, sind selbstlos bis zur Selbstaufgabe, können sich leicht mit anderen identifizieren und sich selbst vergessen. Sie sind teamfähig, ausgleichend und verständnisvoll, neigen aber zu Abhängigkeit, da sie ungern allein sind. Sie haben Angst, aggressiv zu wirken, und neigen dazu, sich selbst aufzuopfern. Sie rotieren um andere und möglichst wenig um sich selbst. Dahinter steckt die Angst, zum eigenen Selbst zu finden.
Im Extremfall wird dieser Typ depressiv (lateinisch „niedergedrückt“) und entwickelt die Fantasie, nur noch zu schlafen, mit der Natur zu verschmelzen oder zu sterben.
simplify-Testfrage: Tun Sie manchmal unglaublich dumme Dinge, nur weil das einen anderen Menschen erfreut oder Ihnen Lob einbringt? Freuen Sie sich, wenn man Sie als bescheiden bezeichnet? Antworten Sie ungern auf die Frage:„Wie geht’s dir?“
Angst vor der Hingabe (schizoid)
Die verstandesorientierte Persönlichkeit ist vom Wunsch nach Abgrenzung geprägt und betont ihre Unabhängigkeit. Sie hat Angst vor Nähe, kreist mit ihren Gedanken und Gefühlen um sich selbst und versucht, die Rotation um andere Menschen zu vermeiden. Der Distanz-Typ ist tief im Herzen ein Einzelgänger, auch wenn er nach außen ganz anders wirken kann.
Würde er seinen Wunsch nach Abstand ins Extrem verlängern, wäre er schizoid (griechisch für „abgeschnitten“) und hätte den Kontakt zur Außenwelt verloren. Schizoide Fantasien: schweigend im Kloster leben, nicht mehr essen müssen.
simplify-Testfrage: Fällt es Ihnen schwer, etwas nur deshalb zu tun, weil es einen anderen erfreut? Kommen Ihnen die Aktionen anderer zuweilen sehr dumm und oberflächlich vor? Fragen Sie sich häufig: „Und wo bleibe ich?!“
Angst vor Veränderung (zwanghaft)
Die ordnungsorientierte Persönlichkeit braucht zum Wohlfühlen Planung, Ordnung, Langfristigkeit und Voraussicht. Sie strebt das Bleibende an, möchte sich in dieser Welt häuslich niederlassen und auf eine verlässliche Zukunft bauen. Sie fürchtet Vergänglichkeit, Irrationales und Unvorhergesehenes. Dieser Dauer-Typ vermeidet Wagnis und Ungewissheit. In seinem Erleben gleicht Unsicherheit einem Tod.
Im Extrem träumt der Zwanghafte von einer unveränderlichen, still stehenden Welt, die er vollkommen unter Kontrolle hat und die ehernen, verlässlichen Gesetzen unterliegt.
simplify-Testfragen: Kommen Sie gern überpünktlich? Trauen Sie sich manchmal weniger zu, als Sie könnten? Ärgern Sie sich darüber, dass alles so schnell geworden ist?
Angst vor der Notwendigkeit (hysterisch)
Die veränderungsorientierte Persönlichkeit ist immer bereit, sich zu wandeln, Neues zu lernen, Vertrautes aufzugeben und das Leben als einen Durchgang zu erleben. Das Neue hat für den Wechsel-Typ einen großen Reiz, Unbekanntes zieht ihn magisch an. Damit verbunden ist die Angst vor Notwendigkeiten, Regeln und Festlegungen. Sein Freiheitsdrang kann umschlagen in panische Angst vor Endgültigkeit und Erstarrung.
Das Ideal wäre für den Hysteriker eine Welt, in der alles erlaubt und alles möglich wäre, in der er alle seine Ideen und Süchte ohne Reue ausleben könnte.
simplify-Testfragen: Kommen Sie häufig zu spät? Überschätzen Sie sich öfter? Ärgern Sie sich manchmal, dass Sie in Ihrem begrenzten Leben nur so wenige der vielen Möglichkeiten ausschöpfen können?
Zum Weiterlesen: Fritz Riemann, Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Studie. Reinhardt Verlag. München 41. Aufl. 2013. ISBN-13: 978-3497024223. 16,90 €.